- Mari: Der Palast des Zimrilim
- Mari: Der Palast des ZimrilimDie altorientalische Stadt Mari, das heutige ostsyrische Tell Hariri direkt an der irakisch-syrischen Grenze, befand sich von jeher an einer Nahtstelle. Denn einerseits war Mari, das durch verwandtschaftliche und freundschaftliche Bindungen eng mit den anderen syrischen Stadtstaaten verknüpft war, aufgrund der ökologischen Situation und der sich daraus ergebenden politischen Strukturen immer ein Teil der westlich von Babylonien gelegenen Regionen. Andererseits lag Mari immer so nahe vor den Toren des babylonischen Kernlandes, dass es für Herrscher babylonischer Staaten, die nach Erweiterung ihres Territoriums trachteten, zum gewissermaßen natürlichen ersten Opfer wurde. Die Lage an dieser Grenzregion brachte der Stadt und ihren Herrschern aber sicher auch wirtschaftliche Vorteile.Wie alt Mari ist, wissen wir nicht; doch es ist mindestens seit der Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. eng mit den Geschehnissen in Babylonien verknüpft. In der »Sumerischen Königsliste« wird Mari unter den babylonischen Dynastien aufgeführt. Eine dort gefundene Perle mit einer Inschrift des Herrschers Mesanepada der 1. Dynastie von Ur lässt auf direkte Beziehungen schließen. Eanatum von Lagasch nannte Mari etwas später unter den Eroberungen, mit denen er bereits vor Sargon von Akkad versucht hatte, seine Herrschaft auf ganz Babylonien auszudehnen. Zahlreiche Statuen im Stil der gleichzeitigen babylonischen Kunst und Baureste aus dieser Frühdynastisch-III-Zeit - insbesondere auch unter dem Zimrilim-Palast - zeugen in gleicher Weise für die Verbindungen zwischen Mari und Babylonien. Da wir aber kaum schriftliche Nachrichten aus dieser und der nachfolgenden Zeit haben, sind uns genauere Einblicke allerdings verwehrt.Wie die Städte Babyloniens nach dem Ende der Zentralherrschaft der 3. Dynastie von Ur war auch Mari Sitz einer lokalen amoritischen Dynastie. Bereits im 18. Jahrhundert v. Chr. wurde diese Dynastie jedoch von Schamschi-adad I. vertrieben, der sich in Assyrien festgesetzt hatte und von dort aus sein Territorium erweiterte. In Mari setzte er seinen Sohn Jasmach-addu als König ein. Als jedoch nach dem Tod Schamschi-adads 1712 v. Chr. dieser Machtbereich zerbrach, kehrte Zimrilim, der Sohn des früheren Herrschers von Mari, aus dem Exil in seine Heimatstadt zurück. Zu Hammurapi von Babylon entwickelten sich zunächst gute nachbarliche Beziehungen; Botschafter wurden ausgetauscht, die jeweils über ihre Beobachtungen nach Hause berichteten. Wiederholt halfen sich Hammurapi und Zimrilim mit Hilfstruppen aus. Mari erlebte annähernd zwanzig friedliche Jahre, bis Hammurapi eine andere Politik gegenüber seinen Nachbarn einschlug, sie nacheinander eroberte und seinem Bereich einverleibte. In seinem 31. Regierungsjahr eroberte er Mari, Zimrilim musste nach Aleppo fliehen.Der Palast Zimrilims war mit einer Fläche von 120 x 140 m und 260 Räumen und Höfen größer als andere - insbesondere die syrischen - Paläste seiner Zeit. Dass er als etwas Ungewöhnliches galt, wird auch durch die briefliche Bitte des Herrschers von Ugarit bestätigt, der darum bat, den Palast von Mari sehen zu dürfen. Der Palast von Mari als Komplex entstand im Verlaufe von ungefähr 300 Jahren durch An- und Umbauten; auf Zimrilim gingen hierbei vermutlich Teile im südlichen Bereich und vor allem die Einbindung in eine Gesamtform zurück. Abgesehen von zahlreichen Raumtrakten, die erkennbar der Verwaltung oder als Speicher dienten, fallen besonders zwei große Hofsysteme auf, an deren jeweils südlicher Seite durch Raumform und Wandschmuck hervorgehobene Räume liegen. Auf den östlichen dieser Höfe öffnet sich ein tief in das Gebäudeinnere reichender Raum. Vor der gegenüberliegenden Schmalseite wurde ein Podest gefunden, das wohl als Basis für einen Thron diente. Die Wände waren mit gemalten Friesen von Personen und Tierkompositionen bedeckt, die jedoch nur zum Teil erhalten sind, sodass sich der größere Zusammenhang heute nicht mehr erkennen lässt. Die Kleidung dieser Personen erlaubt aber eine zeitliche Einordnung der Entstehungszeit; sie tragen eine Tracht, die zwar eher in den syrischen Raum weist, die aber doch deutliche Parallelen zu den Bildwerken des Gudea von Lagasch aufweist, der kurz vor Urnammu, dem Gründer der 3. Dynastie von Ur lebte. Eine Entstehung um 2100 v. Chr. würde gut zu den Baubefunden passen, denen zufolge dieser Bereich zu den ältesten Teilen des Palastes gehörte.Bekannt ist der Palast aber vor allem durch die Wandmalereien in den Räumen südlich des westlichen Hofes. In einem ersten Raum, den man vom Hof her durch einen zentralen Eingang betrat, demgegenüber ein Podest - vermutlich eine Thronbasis - lag, fand sich ein noch gut erhaltenes Wandgemälde, das - wie die sorgfältig zusammengebundenen Kettfäden am unteren Ende zeigen - einen Wandteppich nachahmt. Nach der Darstellung im oberen Teil des zentralen Bildfeldes wird das Gemälde als die »Investitur des Zimrilim« bezeichnet. Hauptfigur ist eine weibliche Gottheit, die den rechten Fuß auf einen liegenden Löwen setzt, der aus den Schultern Waffen hervorwachsen und die in der linken Hand ein Sichelschwert führt. Es ist die gängige Art der Darstellung der kriegerischen Ischtar, der auch in Mari - wie wir aus den Grabungen im übrigen Stadtgebiet wissen - ein Tempel gewidmet war. Links vor der Göttin steht der Herrscher im »syrischen Mantel«. Er hält seine Rechte zum Gruß vor den Mund und hat die Linke ausgestreckt, um die von der Göttin gereichten Herrschaftsinsignien - Ring und Stab - in Empfang zu nehmen. Die Szene wird flankiert von zwei fürbittenden Göttinnen und einem Gott, dessen Rolle wegen der Beschädigung des Gemäldes nicht mehr auszumachen ist.Vom darunter liegenden Bild ist nur noch zu erkennen, dass eine nicht mehr erhaltene Zentralfigur von Wasserstrahlen eingefasst war, die aus Gefäßen hervorschießen, welche von zwei Göttinnen gehalten werden. Die Skulptur einer Figur, aus deren hohlem Gefäß über eine durch die Statue hindurchführende Leitung tatsächlich Wasser hervorsprudeln konnte, wurde gleichfalls in diesem Raum gefunden. Das zentrale Bildfeld ist umrahmt von stilisierten Baumdarstellungen, meist Palmen, die von Vögeln umschwirrt und von Affen erklettert werden. Fragmente zeigen, dass sowohl dieser erste Raum als auch der dahinter liegende noch mit Malereien einer Art geschmückt waren, wie sie uns sonst aus dem mesopotamischen Raum nicht bekannt ist, die wohl aber Anklänge an Malereien der kretischen Paläste zeigt: abstrakte Darstellungen, die man am ehesten als Wolken oder Wellen bezeichnen könnte. Dieser zweite Raum muss der eigentliche Thronraum gewesen sein, denn an einer Schmalseite erreichte man ein erhöhtes Podest nur über elf breite Stufen.Über die Jahre Zimrilims und seines assyrischen Vorgängers sind wir außergewöhnlich gut und detailliert durch Tausende von Tafeln unterrichtet, die in den Archiven des Palastes lagen. Unter diesen fast 13 000 Tafeln fand sich auch die Korrespondenz zwischen Schamschi-adad V. von Assur und seinem Sohn, der immerzu von seinem Vater ermahnt und auf seinen offenbar fähigeren und vorbildlichen Bruder Ischmedagan hingewiesen wird. Zahlreiche Berichte des Botschafters in Babylon sind eine willkommene Informationsquelle für das Babylon zur Zeit Hammurapis, das heute wegen des hohen Grundwasserspiegels archäologisch nicht erreichbar ist. Überhaupt stellen die vielen Briefe, die Berichte über die Landwirtschaft im Bereich von Mari, über die Beziehungen mit den Stämmen der Umgebung sowie über die Handelsbeziehungen mit Babylonien und den syrischen Städten eine der besten Informationsquellen für das Alltagsleben im Alten Orient dar; mit der Eroberung von Mari durch Hammurapi 1696 v. Chr. bricht die Überlieferung allerdings schlagartig ab.Prof. Dr. Hans J. Nissen
Universal-Lexikon. 2012.